Länger gemeinsam lernen
Kinder werden nach dem 4. Schuljahr in verschiedene Schulen aussortiert - manchmal sogar noch früher, wenn sie die Sonderschule besuchen müssen. Diese Praxis in Deutschland behindert das erfolgreiche Lernen für das Leben, denn sehr viele Kinder in allen Schulformen lernen zu wenig wie nicht nur die PISA-Studie eindrucksvoll belegt.
Was sind die Ursachen für diese Misere? Eine oder sogar die wesentliche Ursache ist die fehlende Lernmotivation und die Angst vor dem Versagen bei Schülerinnen und Schülern.
Interessant ist nun, dass diese Lernmotivation bei der Einschulung der Kinder vorhanden ist und alle lernen wollen. Diese Erfahrung habe ich in vielen ersten Klassen gemacht.
Die wichtigsten Gründe für die nachlassende Lernmotivation der Schülerinnen und Schüler sind meiner Meinung nach diese:
1. Viele Kinder erleben zu geringe Lernerfolge. Ihr Können und Wissen wird zu wenig gewürdigt. Die Notengebung entmutigt viele, stärkt nur die Kinder mit Einsern und Zweiern und verleitet überdies alle nur für die Klassenarbeit zu lernen. Damit ist dann das Thema abgehakt und oft schnell wieder vergessen.
2. Das Ausssortieren der Kinder nach dem 4. Schuljahr verbreitet bei Eltern und Kindern Angst. Da entsteht kein förderliches Lernklima, welches für wirklich gute Leistungen notwendig ist. Angst und Resignation behindern und ihre Bekämpfung verbraucht Zeit und viel Kraft und ist nicht erfolgreich. Das Aussortieren der Kinder muss endlich beendet werden zugunsten eines besseren und angstfreien Lernens.
3. Angst gibt es auch bei Lehrerinnen und Lehrern. Sie fragen sich, wie schaffe ich es, dass alle in der Klasse in kurzer Zeit dasselbe lernen? Ein unlösbares Problem, denn Lernen ist individuell - nur kann die Schule mit der jetzigen Organisation das Lernen der einzelnen Kinder zu wenig fördern. Zeit für ein gründliches Lernen ist Mangelware. Häufiger Fächerwechsel, Disziplinschwierigkeiten, häufiger Lehrerwechsel und Schulwechsel bringen Unruhe und Druck, den Lehrer und Schüler aushalten müssen. Auch dies dient nicht der Freude am Lernen.
4. Schülerinnen und Schüler machen in einer normalen Schule kaum Erfahrungen mit wirklichen Aufgaben, die für ihr Leben und ihre Selbstständigkeit wesentlich sind.
Ich halte ein längeres gemeinsames Lernen ohne Aussortieren bis zum 10. Schuljahr für unbedingt nötig, um das Lernen von der Angst zu befreien, denn davon sind nicht nur die Schülerinnen und Schüler betroffen, sondern auch deren Eltern. Für die Schule bedeutet diese neue Schulform mehr Ruhe und bessere Möglichkeiten, die Organisation und die Unterrichtspraxis zu ändern. Die Arbeit an Projekten, gründliches Beschäftigen mit einem Thema, eine Ausstattung der Schule mit Material zum selbstständigen Lernen, Theater, Präsentationen der Lernergebnisse, Projekte außerhalb der Schule - all dies trägt zu einem besseren Lernen bei.
Es steht außer Frage, dass die Schule dafür auch mehr Personal braucht. Optimal Lernen für das Leben können hochbegabte sowie schwächere Schülerinnen und Schüler in solch einer Schule für alle Kinder.
Ein Beispiel ist die Helene-Lange-Schule in Wiesbaden und ich empfehle Ihnen das Buch von Enja Riegel „Schule kann gelingen“ zu lesen. Man ist erstaunt zu welchen Leistungen Jugendliche fähig sind.